Überflutung am Bruchgraben (Aussichtsplattform); Foto: Reinhard Gronau
Überflutung am Bruchgraben (Aussichtsplattform); Foto: Reinhard Gronau

Wenn das Hochwasser kommt – die Überlebensstrategien der Bodenbewohner

 

 

 

(wk) Der Ackerboden war „Boden des Jahres 2023“ und für den Naturschutzverein Anlass, sich genauer mit diesem nur lückenhaft erforschten Lebensraum unter unseren Füßen zu beschäftigen. Als Folge des unbestreitbaren Klimawandels kam es in den vergangenen Sommern zu langanhaltenden Trockenphasen, die die hiesigen Böden tiefgründig unter Trockenstress setzten. Paradoxerweise haben es aufgrund des höheren Wasserdampfgehalts der wärmeren Luftmassen dann jedoch die nachfolgenden Regenfälle in sich, die – der Jahreswechsel zeigte es in Niedersachsen drastisch – schnell zu weiträumigen und länger anhaltenden Überschwemmungen führen können.

 

Was macht eigentlich das Bodenleben, mit dem wir uns so intensiv beschäftigt haben, in solchen Phasen? Die Hildesheimer Zeitung hat in ihrer Ausgabe vom 05. Januar 2024 bereits über die Folgen der Überschwemmungen auf einzelne Artengruppen berichtet.

 

Wobei sich die Überschwemmungen insbesondere auf Käfer, Wildbienen und Hummelköniginnen, die den Boden zur Überwinterung nutzen, fatal auswirken. Es kommt zu erheblichen Verlusten, in Zeiten eines ohnehin zu beobachtenden umfassenden Artensterbens ein Umstand von besonderer Dramatik.

 

Gibt es grundlegende Überlebensstrategien für solche Hochwasserereignisse?

 

Es gibt zunächst die Arten, die „auf Risiko“ setzen und darauf vertrauen, dass Populationsverluste durch Wiederbesiedelungsgeschwindigkeit und Vermehrungsfreude bald wieder ausgeglichen werden können. Hierunter befinden sich Vertreter der Laufkäfer, Springschwänze, Raubmilben und Hundertfüßer. Sie nutzen die nach Überschwemmungen entstandenen ökologischen Nischen. Eine durchaus erfolgreiche Strategie, weil zwischen den Überflutungen teilweise etliche „günstige“ Jahre liegen können.

 

Anderen Arten kommt entgegen, dass sie eine erhöhte Resistenz („geht mir am Chitinpanzer vorbei“) gegen Überflutungen aufweisen, wenn das Wasser nur kalt ist und damit einen hohen Sauerstoffgehalt aufweist. Tausendfüßerarten können unter diesen Umständen 75 Tage überleben, auch bei Hornmilben ist von einer gewissen Überlebensfähigkeit bei Überflutungen auszugehen. Bei Laufkäferarten ist eine Resistenz bis zu mehreren Monaten bei winterlichen Überflutungen belegt. Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass bei Bodentieren in europäischen Auen während der winterlichen Ruhepause, wenn der Stoffwechsel niedrig ist, eine beachtliche Toleranz gegen Überflutungen vorliegt. Im Vergleich dazu fallen Sommerüberflutungen mit hohen Temperaturen und aufkommender Sauerstoffarmut verheerend für viele Bodentiere aus.

 

Auf die Verpackung kommt es an“ scheint bei anderen Arten die Strategie zu sein. Springschwänze zum Beispiel schicken ihren Nachwuchs in Form von Eigelegen in den Winter. In dieser Form trotzt der Nachwuchs wesentlich besser (mehrere Monate) den Überflutungen als das ausgewachsene Tier (im Testfall: eine Woche). Mit steigender Bodenwärme im Frühling schlüpfen die Jungtiere dann in großer Zahl und besiedeln das vormals überflutete Gebiet.

 

Im Herbst „ohne konkretes Ziel auf und davon“ ist die Strategie kleinerer  Spinnenarten, die sich - an Fäden treibend - vom Wind ungerichtet verbreiten lassen. Auch verschiedene Käferarten kennen solche Verbreitungsflüge. In gleicher Weise gelangen solche Arten auch in großer Zahl wieder zurück in vormals überflutete Bereiche.

Die Wanderbewegungen können auch zielgerichtet erfolgen. Einige Laufkäfer streben im Herbst dunklen Landschaftssilhouetten (Waldsäume oder Hecken) entgegen, überwintern in bewaldeten Arealen und streben im Frühjahr wieder auf die offenen Flächen. Wobei die Tiere aber nicht zwischen überflutungsgefährdeten und -sicheren Bereichen unterscheiden können.

 

„Rette sich wer kann“ ist eine verständliche, aber auch spontane und nicht evolutionär entwickelte Ausweichreaktion bestimmter schwimm- und tauchfähiger Laufkäferarten bei steigenden Wasserständen. Und reicht das nicht, so kann man auch Treibgut oder Pflanzenmaterial als „Boot“ benutzen und sich so in sicherere Bereiche verfrachten lassen (betr. Spinnen, Käfer, Springschwänze und Raubmilben), so nach dem Motto „Junge, komm bald wieder…“.

 

Jede einzelne dieser Strategien bzw. eine Kombination derselben hilft, dass nach Abfließen des Hochwassers sich die Bestände des Bodenlebens langsam wieder erholen. Das wiederum ist unabdingbare Voraussetzung dafür, dass die überfluteten Bereiche bald wieder als intakter Lebensraum „Boden“ fungieren können.

 

 

Literatur:

Gerd Weigmann und Dagmar Wohlgemuth-von Reiche; Vergleichende Betrachtungen zu den Überlebensstrategien von Bodentieren im Überflutungsbereich von Tieflandauen; in: Dohle, W., Bornkamm, R. & Weigmann, G. (Hrsg.), Das Untere Odertal. Limnologie aktuell, Band 9 s. 229-240; Stuttgart 1999